Komplott im Süden – Leseprobe
Komplott im Süden – Leseprobe
Textprobe aus dem faszinierenden Roman von Bea Milana, über die gesellschaftlichen Zustände im Süden Europas, die auch auf realen Ereignissen beruhen. Entnommen aus dem Buch Komplott im Süden (Hg.) Bea Milana
Die Nacht war eine von vielen, die den Sommer verabschiedeten, doch den Winter noch nicht ahnten. Eine warme Brise durchzog die Luft und die Sterne funkelten noch. Pere schloss die Tür seiner Bar ab. Mit tiefen Atemzügen sog er die Meeresluft, die die Klippenheraufwehte, in sich hinein, als käme sie aus einer seiner filterlosen Zigaretten. Der harzige Duft der Pinien und der salzigen Brandung drang in seine Nase, entfernt vernahm er das Tuckern der ersten Boote, die die Buchtverließen. Nach einigen Minuten des Innehaltens wandte Pere sich ab, dochin dem Rauschen des Windes und der Brandung schwang ein Wimmern, das ihn verunsicherte.
Irritiert lauschte er in die Dunkelheit.
Das Wimmern – oder was immer es auch gewesen sein mochte – war verstummt. Zögerlich ging er in Richtung seines R4, und dann hörte er es wieder. Schwache, hell klingende, lang gezogene Rufe, weit entfernt. Diesmal erkannte er die Richtung aus der sie drangen, und es klang nicht nach einer Möwe. Es klang nach – Mensch. Von einer merkwürdigen Unruhe erfüllt, stieg er hastig die Stufen zur Außenterrasse hinab. Von den Klippen führte eine in den Fels geschlagene Treppe steil hinunter zum Meer. Mondlicht schimmerte auf den Stufen und der Strahl des Leuchtturms strich in gleichmäßigen Abständen über die schroffe Felswand. Die Böen ließen nach, nur das dumpfe Dröhnen der Brandung stieg von unten herauf.
Und das Wimmern. Es schien jetzt viel näher zu sein.
Pere stolperte die Stufen hinunter und erreichte schließlich den Eingang der ersten der beiden Höhlen. Ein feuchter Modergeruch umfing ihn, als er eintrat. Seine Hand tastete nach dem Kippschalter, aber der kleine Stromgenerator in der Ecke sprang nicht an. Wahrscheinlich hatte niemand Benzin nachgefüllt. Schemenhaft erkannte er die Einrichtungsgegenstände, die er mit seinem Bruder in mühseliger Kleinarbeit hergerichtet hatte: die beiden Betten und den in Stein gehauenen Tisch. Das karge Liebesnest, in dem sich seine Gästevergnügten und in dem gelegentlich auch Sexpartys stattfanden, war in seiner Abgeschiedenheit und Exklusivität ein gern genutzter Ort der Freude.Ihm war das recht. Solange sie sich hier oben vergnügten, verdiente er daran.
Erneut betätigte er den Kippschalter, aber der Stromgenerator zeigte keine Reaktion. Er ärgerte sich, die Taschenlampe vergessen zu haben. Mehrmals rief er, ob jemand da sei, doch keiner antwortete. So schnell er konnte, denn seine Knie machten ihm zu schaffen, lief er weiter, zur zweiten Höhle, nahe der schäumenden Meeresoberfläche. Sie war wesentlich kleiner als die erste und wurde manchmal von den Fischern benutzt, um etwas unterzustellen oder zu verstecken.
In dem zerlöcherten Gestein heulte der Wind. Hier wehte der eisige Hauch der Geister, sagte die Legende.Pere verharrte vor dem Eingang. Alle seine Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten und allmählich schälten sich Schemen aus dem Mondlicht. Müll lag herum. Und in einer Ecke kauerte eine Gestalt.
Ein Junge.
»Luis?«
Er saß mit nacktem Hintern auf dem feuchten Felsboden. Die Hose war herabgestreift, hing lose um die Fußknöchel. Die angezogenen Knie hielt er mit beiden Armen umklammert. Sein Kopf lag auf den Knien, doch sein Gesicht war von dem langen Haar verdeckt.
»Was ist passiert?«
Das Bündel vor ihm reagierte nicht. Pere zog seine Jacke aus, legte sie seinem Neffen um die Schultern und strich ihm mit einer hilflosen zärtlichen Geste die Haare aus dem eiskalten Gesicht.
»Luis, wie geht es dir? Sag was, irgendwas! Sprich doch mit mir! Sprich doch mit mir!«
Doch Luis wimmerte nur, fast unhörbar. Seine Beinezitterten in einem hektischen, aber gleichmäßigen Rhythmus, als würden sie von einem unsichtbaren Motor angetrieben. Wie er es geschafft hatte, den Jungen die steile Treppe hinauf bis zur Wohnung über der Bar Paloma zu tragen? Im Nachhinein schien es ihm eine heldenhafte, fast unmögliche Leistung gewesen zu sein. Sein Schritt glich dem eines Bergsteigers, bedächtig langsam und konzentriert – doch einmal drohte er zu stürzen und konnte sich in allerletzter Sekunde fangen, ohne die Hände, auf denen er Luis trug, zum Abstützen zu benutzen.
In der Wohnung war ihm flau und übel geworden. Er reinigte den Jungen von blutigen Exkrementen, wusch ihm die salzige Kruste von der Haut. Stundenlang starrte er in das blasse Gesicht, auf den schmalen Körper. Alles Lebendige schien dem Kind entwichen zu sein.
Wie konnte das geschehen?
Comments are closed here.