Laufen bedeutet „Schreiben“ im Kopf


Laufen bedeutet „Schreiben“ im Kopf

Wenn es um das Laufen geht, halte ich es ähnlich wie der Philosoph Mark Rowlands, der davon spricht, dass diese Art der Bewegung einen inneren Wert hat, in denen Zweck und Ziel entfällt. Lange habe ich benötigt, um dies für mich zu erkennen, bin aber mit etwas Großartigen belohnt worden: mit meinen Gedanken. Nichts Besonderes möchte man meinen. Mitnichten. Es sind regelrecht kluge Bausteine einer neuen Erkenntnis, die das Zepter übernehmen. Rowlands bezeichnet dies als einen Punkt, „an dem das Denken aufhört und die Gedanken anfangen“ (Buch: Der Läufer und der Wolf). Unterstützt durch den Rhythmus von Bewegung und Puls. Es ist wie eine kleine Schreibmaschine, die mit ihrem Takt das Tempo vorgibt. Ein Metronom, nicht nur im Geiste.

 

 

Gedankenschreiber

Zu Beginn meiner Laufambitionen stand wie bei vielen anderen die Kompensation von tagsüber vorhandener Bewegungslosigkeit im Vordergrund. Gefolgt von gesundheitlichen Gründen. Schließlich Leistung, um in Wettbewerben in das Ziel zu kommen, ohne so richtig Spaß dabei zu haben. Freude war schon vorhanden, das in Richtung Ziellinie quälen, dominierte aber irgendwie. Über die Jahre hat sich diese Art der Motivation zusehends verändert. So ganz genau festmachen kann ich den Zeitpunkt jedoch nicht, an dem das „Schreiben“ im Kopf begonnen hat. Es gab unzählige Momente, in denen ich mich bei Artikeln oder Geschichten regelrecht festgefahren hatte, und das weitere Vorankommen sich während des Laufens plötzlich wie von selbst formulierte. Wie ein gelöster Knoten, ein befreiendes Gefühl. Ganze Sätze, Strukturen oder Ideen gedanklich bereits zu Papier gebracht. Das Laufen setzte und setzt noch immer Buchstaben frei.

 

 

Natur als Impulsgeber

Dabei sehe ich es als Privileg, Strecken an einem Fluss zur Verfügung zu haben, die auf weitläufige Landstriche, über Brücken bis in kleine Waldabschnitte verlaufen. Auch wenn ich mich selbst ab und an nahe am Verfallsdatum sehe, solche Wege nahe an der Natur setzen kreative Strömungen frei, die geschickt genutzt werden können. Es gibt beinahe nichts Intensiveres, als beim Laufen in solchen Umgebungen bewusst und unbewusst an Zeilen zu wälzen und Gedanken weiter voranzutreiben.

 

 

 

 

 

 

 „Langsam ändert sich der Belag. Es ist dieser Übergang von Asphalt auf Waldboden, von Schotter auf bewachsenen Feldweg, von Kiesel auf Wiese. Es ist dieses Gefühl einer Zustandsveränderung, die umso mehr fasziniert, je mehr man sich darauf einlässt. Nicht nur am Fuß, sondern auch in den Gedanken ist es ein inneres Umschreiben des bewussten Spürsinns.“   

 

 

Mehr über Rowlands in einem spannenden Guardian Artikel.

 

Wie empfindet ihr das Laufen? Freue mich über Kommentare!

W.H.

Bin federführend, das Projekt Buchwurm ist eine ganz persönliche Herzensangelegenheit. Schreiben bedeutet für mich, sich auf Perspektiven einzulassen, Sichtweisen anderen gegenüberzustellen oder miteinander neu zu verfassen. Schreiben bedeutet aber auch, Verflechtungen von Gedanken in der Welt von heute neu zu ordnen.

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Wer schreibt hier

Wolfgang Hoi: Blogger, Zeilenmacher und Geschichtendenker.

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